Die Frage des Digitalen im Zusammenhang mit dem Konzept „Schule“ steht mal wieder in der Diskussion. Die Fördermittel zur Aufwertung der digitalen Infrastruktur haben die alten Kritiker auf den Plan gerufen. Wir finden in den Zeitschriften on- wie offline ihre Erörterungen, ob digitale Schulen gut seien oder nicht. Dies ist oft ein Gespräch mit therapeutischem Charakter für jene, deren Reputation und Erfahrungswelt noch in einer papiernen Welt liegen und die mit „dem Internet“ auch noch nicht warm geworden sind.
Dabei verkennt die Diskussion, dass die Digitalisierung kein isoliertes Phänomen ist, das als Hype an der Schule vorbei ziehen könnte. Mit der Digitalisierung ist ein neues dominantes Leitmedium aufgezogen, das die meisten (alle) gesellschaftlichen Prozesse umwälzen, verändern wird. So wie das gedruckte Buch die Renaissance und Industrialisierung vorbereitete, so liegen im digitalen Medium die Antworten versteckt, die uns die globalisierte Welt mit globalisierten Problemen stellt.
Daher stellt sich die Frage nach der Digitalisierung der Schule nicht. Sie wird kommen. Die Frage ist nur, wie.
Zur Schule
Schule ist ein Produkt der Buchkultur. Sie ist eng mit den gesellschaftlichen Entwicklungen verbunden, die mit der Erfindung des Buchdrucks einhergingen. Ich werde dies hier jetzt nicht ausführen, sondern verweise auf den obigen und diesen Artikel.
Wichtig ist festzuhalten, dass ohne das Buch und seine „massenhafte“ Reproduktionsmöglichkeit wahrscheinlich keine Notwendigkeit bestanden hätte, eine verbindliche, einheitliche Schule zu gründen, die das Lesen und Schreiben lehrt und zu einer annähernd ähnliche Interpretation der Inhalte in den gesellschaftlichen Diskussionen führt. Schule spielt in diesem Zusammenhang nicht nur für die Aufklärung eine entscheidende Rolle, sondern ist auch eine Grundlage für demokratische, partizipative Gesellschaften, in denen alle Menschen befähigt sein sollen, an den öffentlichen Diskursen teilzunehmen.
Schule in einer Gesellschaft zu entwickeln, in der das Buch eine dominante Rolle für den Wissenstransfer spielt, führt zwangsweise dazu, dass das Buch eine elementare Rolle in der Schule einnimmt. Schulbücher und Schulbibliotheken sind ein Kennzeichen dieser Entwicklung. Und da Bücher trotz aller Verbreitung ein knappes und teures Gut waren, wird in ihnen gemeinsam gearbeitet und gelesen werden – wodurch die Struktur von „Klassen“ und „Jahrgangsstufen“ bedingt ist.
Lernen ist heute aber nicht mehr an die Verfügbarkeit eines Buches gebunden. Mit einem Smartphone in der Hosentasche steht einem die größte Bibliothek der Welt zur Verfügung: Das „Internet“. Was bedeutet das?
Wenn Schule eine Erfindung des Buchzeitalters ist, um für eine breite Verfügbarmachung von Wissen zu sorgen, dann müssen wir mit dem in diesen Belangen überlegenen Internet die Funktion von Schule in Frage stellen. Ich brauche heute keine Bibliothek mehr, um Texte zu lesen, Dinge zu lernen, Kontexte zu bilden.
Indonesisch lernen? Das Auto reparieren? Hemden falten? Rosen schneiden? Für alles finden sich „in der Hosentasche“ Tipps, Ratschläge, Hintergründe und Erklärungen.
„Früher“ konsultierte man bei Problemen seinen sozialen Bezugsraum oder eine Bibliothek. Beides war in vor-digitalen Zeiten effektiv und zielführend. Heute erscheint der soziale Raum viel zu limitierend für individuelle Probleme (wer hat schon für alle Fragen einen Fachmann im Bekanntenkreis?) und die Bibliothek zu aufwändig. Im Internet ist schnell und überall verfügbar. Unschlagbar – und eigentlich ein ideales Lern-Medium, oder?
Digitale Schule oder Digitalisierte Schule?
Die „Schule“ kann auf das digitale Leitmedium auf zwei Arten reagieren:
A. Digitalisierung als Add-on
Hier bleiben die bestehenden Strukturen erhalten: Klassen, Stufen, Abschlüsse, zentrale Vorgaben, Prüfungen, Meßbarkeit. Allerdings ergeben sich durch die digitalisierten Tools neue Möglichkeiten im Arbeiten und vor allem Messen.
→ Die Digitalisierung als Add-on macht Schule nicht anders, sondern vor allem effektiver.
B. Eine digitalisierte Schule
Mit dem Digitalen ergeben sich neue Möglichkeiten der Individualisierung, der Kommunikation, des Lernens an sich. Das Lernen wird offener, selbstverantwortlicher, riskanter. Es ist weniger kontrollierbar, eröffnet mehr eigene Wege und Lösungen und fördert insgesamt die „Kreativität“. Aber: man kann weniger quantifizieren, was heute ja ein wesentliches Element von Schulorganisation und -verwaltung ist.
→ Die Digitale Schule schafft neue Möglichkeiten, fordert aber auch eine gesellschaftliche Neudefinition.
Demnach geht A. mit der bisherigen Schule. Macht man ja auch schon so. B. erfordert dagegen ein neues Mindset und einen neuen Begriff von „Schule“. Ihre gesellschaftliche Funktion muss im Digitalen neu formuliert werden. Allein die Begründung über die generationale Wissensvermittlung bei gegebenen knappen Ressourcen (Bücher) reicht nicht mehr aus.
Damit ändert sich ein anderer wesentlicher Bestandteil: Das Rollenmodell „Lehrer“ wird fundamental in Frage gestellt, was in der Personalpolitik zu einer großen Herausforderung werden wird…
Georg Rückriem hat in dem Vorwort des Buches „Lernen und Lerntätigkeit“ folgendes treffend formuliert:
„[…]das bedeutet, dass die Informationsgesellschaft keine Lernkultur mehr hat, sondern eine Lernkultur ist: Sie ist eine Kultur des Lernens.“
Bei der Digitalisierung von Schule geht es also im Eigentlichen nicht nur um eine Digitalisierung bestehender Prozesse, sondern um einen Kulturwandel und damit eine Neudefinition vom gesellschaftlich-kulturellen Lernen in einem System, das wir „Schule“ nennen.
Sollte Schule also nur digitalisiert werden, kann es gefährlich für sie werden. Sie muss sich im Digitalen neu denken, um ihrer wichtigen gesellschaftlichen Aufgabe gerecht zu werden. Schule ist nämlich eine im eigentlichen Sinne ‘gute’ Antwort auf die Frage der generationalen Wissensvermittlung und zur Sicherung der gesellschaftliche Teilhabe. Sie ist als Konzept erhaltenswert!
Hinsichtlich der derzeitigen Fördermittel zum Aufbau der digitalen Infrastruktur kann man nur sagen: Machen! Wir brauchen digitale Infrastruktur überall im Land, also auch an der Schulen. Wo man da beginnt, ist im Grunde egal. Schulen machen aber was her.
Ob WLAN und Glasfaser dann zu einer besseren Schule führen? Das wird nicht über die Fördergelder entschieden, sondern ist eine gesellschaftliche Frage. Sicher ist aber, dass es ohne WLAN und Glasfaser in Zukunft nichts mehr wird mit dem „Bezug zur Lebenswelt“… Eine Schule ohne Internet wird an Bedeutung verlieren.