Der Medienkompetenzrahmen NRW

von Martin Fricke und Felix Schaumburg

Medienpass 2010 und Medienkompetenzrahmen 2017

Ursprünglich im Jahr 2010 entwickelt, sollte der Medienpass in Nordrhein-Westfalen eine Art »Führerschein« sein, der zunächst an Grundschulen die grundlegenden Kenntnisse im Umgang mit digitalen Medien festhält. Schnell wurden die zugrunde liegenden Kompetenzen auch auf die Sekundarstufe I ausgeweitet.

Für die weitere Darstellung des Medienkompetenzrahmen NRW ist Klarheit über den Begriffsgebrauch notwendig. Wir müssen unterscheiden zwischen dem Medien-Pass, einem physisch vorliegenden Portfolio-Heftchen, in dem die erworbenen Kompetenzen dokumentiert werden (Druckvorlage) und dem der Vermittlung ebendieser Kompetenzen zugrunde liegenden Kompetenzrahmen. Im Nachfolgenden beziehen wir uns auf den Medienkompetenzrahmen.

Im Jahr 2016 hat die Kultusministerkonferenz ihre Empfehlungen zur »Bildung in der digitalen Welt« ausgesprochen. Das darin vorgestellte Kompetenzraster basiert u.a. auf dem alten Medienpass aus NRW und wurde aber grundlegend erweitert. Seit Ende 2016 wird es in den einzelnen Bundesländern in unterschiedlichster Form in die curricularen Vorgaben eingearbeitet.

Der aktuelle, neue Medienkompetenzrahmen NRW wurde im Spätsommer 2017 vorgestellt und basiert auf ebendiesen Empfehlungen. Die bisherige Struktur des Medienpasses aus 2010 wurde nahezu komplett überarbeitet und neu formuliert. Das alte Kompetenzraster ist hier zu finden.

Während der alte Medienpass NRW fünf Kompetenzbereiche mit Unterteilung in jeweils vier Kompetenzstufen und eine klare Zuordnung von Kompetenzen zu den Schulstufen (Elementarbereich, Ende Klasse 4, Ende Klasse 6, Ende Klasse 9/10) vorsah, gelten die Kompetenzstufen des neuen Medienkompetenzrahmen nun übergreifend für alle Schulstufen und werden somit erst durch ihre jeweilige Tiefe bzw. Aufgabenstellung im jeweiligen pädagogischen Zusammenhang differenziert. Zur Ausgestaltung liefern die Erläuterungen eine grobe Orientierung.

Die bisherigen Kompetenzbereiche des alten Medienpasses NRW waren:

  • Bedienen und Anwenden
  • Informieren und Recherchieren
  • Kommunizieren und Kooperieren
  • Produzieren und Präsentieren
  • Analysieren und Reflektieren

Im neuen Medienkompetenzrahmen gibt es einen weiteren, sechsten Kompetenzbereich:

  • Problemlösen und Modellieren

Die Anzahl der Teilkompetenzen für jeden der genannten Kompetenzbereiche wurden auf vier begrenzt, wobei die letzte Zeile sich vor allem eher Fragen sozialwissenschaftlicher Natur, wie z.B. Datenschutz oder Persönlichkeitsrechten, widmet und somit eine querliegende Ausrichtung aufweist. Wir gehen im nächsten Kapitel nochmal auf diese besondere Struktur ein.

https://www.medienpass.nrw.de/sites/default/files/media/LVR_ZMB_MKR_Rahmen_A4_v01.pdf

Struktur des neuen Medienpasses

Im neuen Medienkompetenzrahmen lassen sich einige Strukturmerkmale feststellen.

Die erste Spalte (Bedienen und Anwenden) befasst sich vornehmlich mit der Hard- und Software sowie deren Nutzung im Sinne der einfachen Bedienung.

Die zweite (Informieren und Recherchieren) und dritte (Kommunizieren und Kooperieren) Spalte stellt auf Basis der Kompetenzen aus Spalte 1 den sachgemäßen Umgang mit Informationen und eine verantwortungsvolle Kommunikation in den Fokus.

In der vierten Spalte (Produzieren und Präsentieren) werden die drei vorherigen Spalten quasi kombiniert in der Erstellung von Medienprodukten auf Basis von Hard-/Software und (recherchierten) Informationen.

Die fünfte Spalte (Analysieren und Reflektieren) stellt in gewisser Weise eine Art Reflexion über diese Produkte dar.

Für diese ersten fünf Spalten wirkt der Medienkompetenzrahmen NRW stringent und aufeinander aufbauend, auch sind die übergeordneten Kompetenzbereiche deckungsgleich zur vorherigen Struktur aus dem Jahr 2010.

Der neu ergänzte, sechste Kompetenzbereich scheint dazu zunächst unverbunden und separiert zu sein. »Problemlösen und Modellieren« wirkt wie ein Add-on zum Rest, um irgendwie die digitale Komponente zu betonen.

Jedoch lässt sich die sechste Spalte unterschiedlich interpretieren. In der einen Sichtweise leistet sie einen großen Beitrag zur Akzeptanz der Bedeutsamkeit der digitalen Veränderung. Mit ihr gibt es nun eine curriculare Grundlage zur Auseinandersetzung mit Inhalten wie Programmieren und Digitalisierung, sprich der informatischen Durchdringung der Lebenswirklichkeit. Dabei eröffnet sie durch die Modellierung zur Problemlösung fachliche und fachdidaktische Perspektiven der Informatik auf Alltagsphänomene in der digitalen Welt, egal ob mit oder ohne Computer als Arbeitsgeräte.

Aus der anderen Sichtweise heraus lässt sich ein integrativer Medienunterricht entwickeln, der spiralcurricular von der Bedien- und Anwendungsebene über die analytisch-reflektierte Nutzung um… (zu produzieren, zu kommunizieren) in mündiges Verständnis über Aspekte hinter den Dingen mündet und so ganzheitlichere Durchdringung von Sachverhalten ermöglicht.

Wie auch immer die subjektive Interpretation des neuen Medienompetenzrahmens sein wird – die frisch ergänzte sechste Spalte verdient eine besondere Aufmerksamkeit.

Ebenso interessant ist auch die untere Zeile quer zu allen sechs Kompetenzbereichen. In dieser werden die Fragen zum Datenschutz und zu den Persönlichkeitsrechten sowie der kritische Umgang mit Daten thematisiert. Im Kompetenzraster der KMK sind diese Themen in einem eigenen Kompetenzbereich (»Schützen und sicher Agieren«) zusammengefasst.

Beim neuen Medienkompetenzrahmen NRW ist offenbar die Entscheidung getroffen worden, diese Aspekte quer zu den anderen Kompetenzen zu legen. Auch dieses Vorgehen macht deutlich, dass eine Vernetzung verschiedener Bereiche und einzelner Kompetenzfelder durchaus denkbar und möglich ist. Somit gibt die untere Zeile nahezu einen roten Faden mit Sinnstiftung in der Beschäftigung mit Herausforderungen der digitalen Welt.

Der Medienkompetenzrahmen NRW in den Schulen

Diese Entwicklung könnte legt nahe, dass in Nordrhein-Westfalen

  1. die Medienbildung eine Querschnittsaufgabe aller Fächer sein wird und
  2. kein Pflichtfach Informatik eingeführt werden wird.

… in der Grundschule

Eine querschnittsmäßige Integration der Anforderungen des Kompetenzrahmens NRW in alle Fächer scheint grundsätzlich tragfähig zu sein. Die Unterrichtskultur der Grundschule zielt bei guten Unterricht auf fächerverbindene, ganzheitlichere Arbeitsweisen und Lerngegenstände ab. Anknüpfungspunkte für die Kompetenzen des Kompetenzrahmens bieten sich zu Hauf. Beispielhafte Umsetzungen im Unterricht könnten so aussehen: 

  1. Durch den Kompetenzbereich Bedienen und Anwenden lernen die Kinder so die Medienausstattung und das Softwareangebt reflektiert zu nutzen. Dies kann z.B. über Lernsoftware im Mathematikunterricht realisiert werden, der mediale Lerngegenstand wird somit Mittel zum Zweck. 
  2. Der Kompetenzbereich Informieren und Recherchieren lässt sich als Fortsetzung oder Erweiterung bereits erworbener Recherchekompetenzen aus dem Deutschunterricht abbilden: An ausgewählten Themen nutzen die Schülerinnen und Schüler zunächst eingegrenzte Suchangebote, später öffnet sich die Recherchebandbreite. Die gefundenen Medien (Texte, Bilder, Audio, Video) speichern sie ab oder erstellen neue Dateien. 
  3. Sie kommunizieren und kooperieren auch unter der Verwendung von Software (erneut Bedienen und Anwenden) um mit den Erkenntnissen nun
    4. reflektiert eigene Medienprodukte zu produzieren und präsentieren – das kann vom mündlichen Vortrag, über ein Lernplakat bis hin zur Powerpoint-Präsentation oder einem eigenen Erklärvideo reichen. 
  4. Der Kompetenzbereich Analysieren und Reflektieren geht daraufhin einen Schritt zurück und betrachtet Medien von außen. »Welche Absichten hat Werbung?«, »Wie kann ich mir durch die Nutzung digitalen Medien eine Meinung bilden?«

Die sechste Spalte Problemlösen und Modellieren setzt eine andere Gewichtung, lässt sich aber dennoch schlüssig in die Vorgehensweise integrieren. Nachfolgend eine Umsetzung in kleinschrittiger Darstellung, die sich für die vorherigen Punkte natürlich ebenso empfiehlt:

  1. Die Schülerinnen und Schüler erkennen grundlegende Phänomene der digitalen Welt, wie zum Beispiel die automatische Eingangstür vor dem Supermarkt, die sich zunächst als informatische Blackbox präsentiert. »Warum öffnet sich die Tür wenn ich davorstehe und mich bewege? Warum manchmal aber auch nicht?«
  2. Über eine Einführung und ausreichend Möglichkeit angeleitet oder explorativ erlernen die Kinder auf der Anwendungsebene (erneut Bedienen und Anwenden) Hard- und Software zum Programmieren kennen und nutzen. 
  3. Viel wichtiger jedoch: Sie lernen etwas über die Denk-, Arbeits- und Handlungweisen eines Informatikers, nämlich die Modellierung zur Problemlösung oder erwerben Konzept über Algorithmen. Im Beispiel bleibend planen die Kinder nun beispielsweise eine Alarmanlage für die Tür mittels eines Microcontrollers, wie etwa der Calliope mini. Natürlich besteht an dieser Stelle auch die Weiche zur unplugged-Variante: Das Programmiervorhaben kann auch mit Stift und Zettel in Puzzleteile-Optik erarbeitet werden.
  4. Im letzten Schritt nehmen die Kinder erneut die distanzierte Sichtweise ein. Nun können sie Aussagen über die zuvor erfahrene Blackbox des Phänomens Türöffner treffen: »Es muss so etwas geben wie eine Wenn-Dann-Ansonsten-Verzweigung…«

Dazu befinden wir uns dann bereits in der unteren Zeile des Kompetenzrahmen NRW. Hierbei wird stets die Außerperspektive auf Medien eingenommen:

  • Welche Einflüsse haben Algorithmen auf mein Leben? (6.4)
  • Wie nutze ich Medien selbstreguliert und verantwortungsvoll für meine Gesundheit? (5.4)
  • Welche Rechte habe ich an fremden Bildern und wieso schützen solche Regelungen mich und andere? (4.4)
  • Wie reagiere ich im Chat, wenn mich jemand bedroht oder mir unangenehme Dinge schreibt? (3.4)
  • Welche Medien sind kindgerecht? Wie handele ich, wenn ich nicht-kindgerechte Medieninhalte finde? (2.4)
  • Wie speichere ich meine Daten und warum ist Datenschutz wichtig? (1.4)

Denkbar wäre zu jeder dieser Fragen eine eigene Unterrichtsreihe, hierbei ist leider meist die Zeit der limitierende Faktor. Darum empfiehlt es sich integrativ oder zumindest ompetenzbereichsvernetzend Unterricht mit Medien zu planen und umzusetzen – es entlastet uns zeitlich und ermöglicht nachhaltigere Lernprozesse bei den Schülerinnen und Schülern.

… in der weiterführenden Schule

In der weiterführenden Schule stehen wir vor einem Problem: Dort gibt es in der Stundentafel kein Sammelfach ähnlich dem Sachunterricht, der aus sich selber heraus perspektivvernetzend arbeiten muss. Zwar gibt es an Gesamtschulen das Fach Naturwissenschaften oder Gesellschaftslehre, das aber auch
a) nicht überall eingeführt ist und
b) von den Teilfächern, wie z.B. Biologie, Chemie und Physik dominiert wird.
Eine zusätzliche verbindliche Disziplin, die die Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen der Bezugswissenschaft Informatik abdecken würde, ist hier nicht in Sicht.

Zwar ist es denkbar, dass das individuelle Engagement einzelner Kollegen_innen dazu führt, dass informatische Grundbildung in den Unterricht Einzug erhält. Allerdings lässt sich dies nicht verbindlich vereinbaren, da die fachliche Perspektive durch den Einbezug von Programmierkenntnissen zumindest für viele Kolleg_innen zum aktuellen Zeitpunkt deutlich überschritten wird.

Die Medienberatung NRW hat sich dem Problemfall »6. Kompetenzfeld« in der weiterführenden Schule bereits angenommen und eine Linksammlung erstellt. Darin wird zum Beispiel vorgeschlagen, dass das Thema »Fakenews und SocialBots« behandelt wird, indem die Schüler_innen eigene FakeNews generieren und vielleicht sogar einen eigenen Twitter Account damit füttern. Diese Idee – in ihrer Art sicherlich spannend und motivierend – bedarf aber technischer Kenntnisse, die nicht vorausgesetzt werden können. Außerdem stellt sich die zentrale Frage: Welche Fächer nehmen sich dieser Aufgabe an? Ist es Politik, Religion/Ethik, Deutsch?

… schulformübergreifend

Daher ergibt sich, unabhängig ob Grund- oder weiterführende Schule, das Problem, dass mit dem neuen MedienkompetenzrahmenNRW ein Spannungsfeld zwischen curricularen Verpflichtungen einerseits und (noch) nicht vorhandener Fachlichkeit und fachdidaktischer Expertise andererseits auf die schulischen Systeme zukommt. Dies wiederum mündet zwangsläufig in enormen Fortbildungsbedarf für ebendiese Kolleg_innen, die sich mit den skizzierten neuen Aufgaben konfrontiert sehen: Entweder handelt es sich um Lehrkräfte in der Grundschule, die in Deutsch, Mathematik und Sachunterricht quergelagert Medien und Informatik in ihren bisherigen Unterricht integrieren müssen – oder aber um fachfremde Vermittler des Wissens in den weiterführenden Schulen, die neuerdings eine eigenständige Disziplin oder gar ein Fach unterrichten müssen. Schwerer noch als das nicht vorhandene Fachwissen wiegt dabei das anzunehmende Unvermögen, die Denkweisen (Inhalte), Arbeitsweisen (Didaktik) und Handlungsweisen (Methodik) einer ganzen Bezugsdisziplin in die eigene Unterrichtsgestaltung einzubringen und somit die Anschlussfähigkeit an die dahinterliegende Wissenschaft zu ermöglichen.

Programmieren und der Umgang mit Algorithmen ist ein sehr junger, aber zunehmend bedeutender Bereich der Bildung (und des gesellschaftlich-kulturellen Systems). Schule, die nach ihrer Selbstdefinition Kinder auf ihre zukünftigen Aufgaben »im Leben« vorbereitet, muss sich daher auch mit dieser Frage auseinandersetzen. Und da die Lehrer_innen, die heute an den Schulen sind, zumeist keine informatischen Grundkenntnisse und keine Zeilen »Code« geschrieben haben (warum sollten sie sonst an der Schule sein?), muss hier nachgearbeitet werden. Sofern man davon ausgeht, dass kein Fach alleine alle Teilkompetenzen aufgreifen kann, werden hier fachübergreifend Umstrukturierungen notwendig.

Ein weiterer kritischer Punkt ist, ob man mit den Kompetenzen, die über gemeinsame Absprachen den einzelnen Fächern zugeordnet wurden, auch eine Verbindlichkeit herstellen kann, der sich alle Fachkollegen_innen unterwerfen.

Der Medienkompetenzrahmen NRW wird in den nächsten Jahren durch seine angestrebte Verbindlichkeit zu einer Überarbeitung der schulinternen Curricula führen. Damit werden die Schulen vor große Herausforderungen gestellt.

Medienkompetenz versus Informatik?

Das Beispiel Programmieren macht dies sehr deutlich. Es handelt sich um einen sehr jungen Bereich der Bildung. Programmieren wird als neue Kulturtechnik postuliert. Menschen müssen in der Schule Code schreiben lernen, um in der Arbeitswelt wettbewerbsfähig zu bleiben, so sagt man.

In Wirklichkeit jedoch besticht die simple Analogie der Erdenkers des Informatiklehrgangs CS unplugged: »Informatik hat soviel mit Computern zu tun, wie Astronomie mit Teleskopen«

Beim Erwerb von Kompetenzen geht es um die Verbindung von Inhalten und Prozessen: Lernende lernen an dem Gegenstand, wie man in der Bezugsdisziplin arbeitet. Nicht Coden zu können ist daher entscheidend, sondern zu wissen, wie ein Programmierer denkt und handelt. Daher ist das Programmieren gleichzusetzen mit dem Experimentieren in den Naturwissenschaften:

Ich kann den Versuchsaufbau des Physiklehrers reproduzieren und ein Protokoll dazu schreiben, dann habe ich einen Versuch durchgeführt. Aber weiß ich mehr über die Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen der Physik? Ich kann auch selber ein Experiment durchführen, indem ich eine Fragestellung entwickele und nach Lösungen für dieses Problem suche. Erst dann beschäftige ich mich sinnstiftend, problemlösungsorientiert und somit nachhaltig mit der Bezugsdisziplin. Auch so in der Informatik: Problemlösung durch Modellieren oder simples Coden? Das sind zwei sehr verschiedene Anforderungen an die Lernenden!

Bringen wir die beiden Fächer aus dem Beispiel zusammen: Wenn nun in den naturwissenschaftlichen Fächern ein Experiment nicht nur nach dem soeben positiv dargestellten Muster des forschend-entwickelten Unterrichts durchgeführt, sondern dazu auch informatisch modelliert (z.B. Messwerte erfassen) werden soll (Kompetenz 6.2 und 6.3), so wird das eigentlich fachliche Unterrichtsvorhaben naturwissenschaftliches Experiment um den Aspekt informatische Bildung erweitert. Dies wiederum erfordert gänzlich breiter aufgestellte Kompetenzen der Lehrenden.

Wäre unter diesen Bedingungen ein Pflichtfach Informatik nicht doch der bessere Weg?
Die Antwort ist simpel: Es kommt drauf an. 

Wenn der Informatiklehrer und die Informatiklehrerin als Experten auf ihrem Gebiet anerkannt werden: Fachlehrer für eine Fach mit der wissenschaftlichen Bezugsdisziplin der Strukturwissenschaft Informatik zu sein – Ja.
Wenn diese Expertinnen und Experten darüber hinaus besondere Expertise darin ausweisen können, neben der Informatik auch medienkundig zu sein und somit nicht nur digitales Lernen unter Verwendung von Hard- und Software und medienkritische Reflektion, sondern eben auch informatische Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen als authentische Umsetzung von Herausforderungen der digitalen (Arbeits-)Welt im Fachunterricht abzubilden – umso besser!

Andernfalls: Nein. Eine Sichtweise, die voraussetzt, dass wir von vereinzelten Experten sprechen, die quer liegend für einen ganzen Meta-Bereich unterrichtlich verantwortlich sind, ist nicht mehr zeitgemäß. Sollte wegen des digitalen Wandels nicht jede Lehrkraft informatisch gebildet sein, so wie auch jede Lehrkraft sich mit Fragen der Inklusion und Integration beschäftigen muss?

Die Gefahr besteht auch, dass ein Fach Informatik als Rundablage für alles mit Medien dient. Es wäre das Feigenblatt einer digitalen Schule, in der alles so weiterläuft wie bisher – nur eben jetzt in 4.0. Die Notwendigkeit der Ausbildung informatischer Expertise innerhalb der Kollegien zu digital-kompetenten Lehrenden würde wegfallen und dem System Schule langfristig nicht helfen. Trotzdem ist – und das ist kein Widerspruch – langfristig das Pflichtfach Informatik durchaus nicht unwahrscheinlich. Dann jedoch als propädeutische Bezugsdisziplin und nicht als Mediensammelbecken.

Vorausgesetzt, wir reden mittelfristig noch von Fächern. Schule unter den Bedingungen des digitalen Leitmediums täte gut daran, sich auch in dieser Frage zu öffnen und sich neu zu verorten, wenn Sie sich gegenüber ihrer gesellschaftlich-kulturellen Aufgaben weiterhin verantwortlich zeigen möchte. Das Digitale arbeitet nicht in Fächern, sondern in Netzwerken bzw. Sinnzusammenhängen, es setzt nicht auf Wissensstandards, sondern auf Kommunikation. Wenn wir uns in diesem Rahmen bewegen, sprechen wir von übergeordneten Kompetenzen, die für alle Fächer anwendbar sind.

Sollten jedoch die Fächer weiter bestehen, so ist ein Fach Informatik sehr gut denkbar. Immerhin handelt es sich dann um jenes Fach, welches uns den Aufschluss unserer Lebenswirklichkeit im digitalen Wandel erst ermöglicht, weil es unter anderem dort in die Tiefe geht, wo Medienpädagogik auf der Nutzungs- und Anwendungsebene verweilt.

Somit könnte das Fach Informatik das neue Latein werden, das auch durch seine Struktur und Systematisierung eine große Hilfe im Sinne der Auseinandersetzung mit Herausforderungen für die anderen Fächer darstellt.

Handlungsbedarf

Welche Konsequenzen lassen sich nun aus der Überarbeitung des Medienpasses hin zum Medienkompetenzrahmen ziehen?

Welche Konsequenzen lassen sich nun aus der Überarbeitung des Medienpasses hin zum Medienkompetenzrahmen ziehen?

Schulen müssen in einem ersten Schritt eine Bestandsaufnahmen ihrer bisherigen Curricula machen: »Welche Kompetenzen des neuen Medienkompetenzrahem NRW haben wir bereits bedacht und wo müssen wir nachsteuern?« Mit einem Zeithorizont von 2021, wenn nach Beschluss der KMK alle Schülerinnen und Schüler eine digitale Lernumgebung nutzen sollten, ist dies der vornehmlich dringendste Schritt.

Darüber hinaus müssen Unterstützungsangebote für Schulen aktiviert werden. Dazu zählen unter anderem:

  • Landesanstalten für Medien
  • Kompetenzteams der Schulämter und weitere schulische Fortbildungseinrichtungen
  • Medienberater und -beraterinnen
  • Schulträger für die IT-Infrastruktur
  • Lokale Anbieter, z.B. Stadtbibliotheken oder Beratungseinrichtungen für Kinder und Jugendliche

Schulische Infrastruktur und Fortbildung müssen eng verzahnt werden, um eine schnellstmögliche solide Ausstattung an die Schulen zu bekommen, die die Umsetzung des Medienkompetenzrahmen NRW nicht an fehlenden Geräten oder langsamen Internetzugang scheitern lässt. In Nordrhein-Westfalen sind dies vor allem Aufgabenbereiche der Kompetenzteams (Fortbildung) und der Schulträger (Ausstattung). Auch der Medienberatung fällt in ihrer Funktion eine wichtige Rolle zu – sie verzahnt Ausstattung und Fortbildung, also Digitalisierung inhaltlich und infrastrukturell.

Der Medienkompetenzrahmen NRW ist eine große Chance für die Schulen, sich auf den notwendigen wenngleich auch nicht immer leichten Weg zu machen, das digitale Leitmedium im schulischen Lehr-Lern-Kontext zu verankern.

Viele Schulen gehen in kleinen Projekten voran und können als Ideengeber und Austausch dienen. Ob es die LEGO-Roboter in der Grundschule sind oder die digital gestützte Mitwirkung der Schülervertretung: Jedes Projekt leistet in seinem Bereich Vorarbeit und schafft Erfahrungsräume.

Einfach machen, ausprobieren, Erfahrungen sammeln – das ist eine Haltung, die diesen Prozess vorantreibt, getreu dem Zitat: »Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.«

Der neue Medienkompetenzrahmen NRW liefert hierfür ausreichend Anlässe und Umsetzungsvorschläge.

Fazit [tl;dr]

Die Überarbeitung des Medienkompetenzrahmen NRW brachte viele Neuerung. Die Verzahnung der umstrukturierten Kompetenzbereiche birgt Chancen des vernetzten Lernens, doch auch Herausforderungen durch den neuen Bereich Problemlösen und Modellieren und den querliegenden Meta-Bereich der reflektierten Medienbildung. Die anstehende Implementation der mehr informatisch denn medial anmutenden Ansprüche an Medienbildung im digitalen Wandel ist ein Politikum. Während die Grundschule grundsätzlich vorhandene Strukturen erweitern kann, besteht in den weiterführenden Schulen die Gefahr eines Bruchs mit den bisherigen Arbeitsweisen und curricularen Fachzuschreibungen. In jedem Fall ist die Notwendigkeit für Fort- und Weiterbildung zur Auseinandersetzung mit den neuen Anforderungen gegeben – die bekannten Strukturen müssen hierbei von den Schulen aktiv genutzt werden. Mehr Mut und weniger Berührungsängste sowie eine gute Zusammenarbeit mit Schulaufsicht und Schulträger sind in diesem Zusammenhang wünschenswert.


Diesen Artikel im Drucklayout und andere Artikel rund um die informatorische Bildung und die Medienkompetenz an Schulen sind hier zu finden: http://www.log-in-verlag.de/.

Der vorliegende Beitrag wurde für die Zeitschrift LOGIN im Frühjahr 2018 verfasst.

„Der Medienkompetenzrahmen in Nordrhein-Westfahlen von M. Fricke und F. Schaumburg ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz, CC-BY 4.0.“


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